(Quelle: healthcare-in-europe.com) Am 23. Oktober 2019 findet in Berlin mit dem 4. Deutschen Interoperabilitätstag das zentrale Gipfeltreffen der deutschen Standardisierungs-Community statt. Aus diesem Anlass erklärt Sebastian Zilch, Geschäftsführer Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V., im Interview, warum eine einheitliche Vernetzung gerade im Gesundheitswesen zentral ist und woran es aktuell hierzulande hakt.
Welche Bedeutung hat das Thema Interoperabilität in Ihren Augen speziell im Gesundheitswesen?
Auch im Gesundheitswesen basiert die Digitalisierung im Kern auf Vernetzung. Damit diese über unterschiedliche Systeme und Sektoren überhaupt erst möglich wird, braucht es interoperable Lösungen. Denn erst wenn Informationen basierend auf Standards verlustfrei ausgetauscht werden und eindeutig weiterverarbeitet werden können – beispielsweise zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten – entstehen Mehrwerte in der Versorgung. Weil die Interpretation der Daten sich teilweise direkt auf die Therapie und damit die Gesundheit der behandelnden Person auswirken kann, ist die Bedeutung von Interoperabilität im Gesundheitswesen gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Welchen konkreten Nutzen haben Patientinnen und Patienten von mehr Interoperabilität?
Zukünftig wird ein jeder von uns dazu in der Lage sein, seine oder ihre Daten selbst zu verwalten und analysieren zu lassen – und profitiert dabei von interoperablen Anwendungen – beispielsweise, wenn es um die Analyse von Laborwerten geht oder die Weiterleitung von Arztbriefen. Interoperabilität garantiert hier eine schnelle Verarbeitung und Deutung der Daten und verhindert damit Fehlbehandlungen. Doch das ist erst der Anfang: Im Zuge der auf Daten basierenden Medizin, der Data-Driven-Medicine, wird es noch viel mehr Möglichkeiten für die Nutzung von Daten geben. Die Bedeutung des Themas wird tendenziell eher noch weiter zunehmen.
Das Potenzial ist also groß. Aber wie ist es aktuell um das Thema in Deutschland bestellt?
Leider alles andere als ideal. Faktisch haben wir es hierzulande eher mit einem Konstrukt aus Insellösungen zu tun. Ein Grund dafür ist, dass beispielsweise Vorgaben von Organisationen der Selbstverwaltung oder der gematik nicht internationale Standards nutzen. So ist etwa bei der Spezifikation der elektronischen Patientenakte (ePA) eine deutsche Insellösung entstanden. Dabei werden internationale Standards zwar herangezogen, allerdings so umgesetzt, dass eine standardkonforme Anwendung nicht mehr möglich ist. Ein weiteres Manko ist es, dass wichtige Abstimmungsprozesse ignoriert werden. Dies alles hat nicht nur zur Folge, dass die eigentlich durch eine Standardisierung möglichen Vorteile verpuffen, sondern schafft gleichzeitig unnötige Mehrkosten für Gesundheitssystem und Wirtschaft.
Wie reagiert die Politik darauf? Ist sie sich der Problematik bewusst?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat durchaus Anstrengungen unternommen, um einen interoperablen Austausch von medizinischen Daten zu ermöglich. So beschäftigen sich sowohl das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) und der Entwurf des Digitale Versorgung-Gesetzes (DVG) damit. Inwieweit diese Bemühungen Früchte tragen, wird man ganz konkret an dem aktuellen Fall der ePA sehen können, die allen gesetzlichen Versicherten, die diese nutzen wollen, ab 2021 zur Verfügung stehen soll.
Wie soll in diesem konkreten Fall die Interoperabilität gesichert werden?
Im TSGV wurde diese Verantwortung allein der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) übertragen. Der Gesetzgeber verfolgt hier einen zentralistischen Ansatz, der gleich aus mehreren Gründen problematisch ist: Nicht zuletzt werden damit die Prinzipien der Standardisierung ad absurdum geführt, die ja von Grund auf durch Austausch und Zusammenarbeit geprägt sind.
Zwar ist die KBV formell dazu verpflichtet, ihre Entscheidungen im Benehmen mit weiteren Organisationen des Gesundheitswesens zu treffen – etwa den Interessenverbänden der Forschung und Industrieverbänden – allerdings liegt die finale Entscheidung immer noch bei der KBV. Ob der Benehmensherstellungsprozess das richtige Instrument ist, um alle betroffenen Akteure der Gesundheitswirtschaft in die Entwicklung einzubeziehen, wird sich noch zeigen.
Wir nehmen deshalb den diesjährigen Deutschen Interoperabilitätstag (DIT) zum Anlass, alle relevanten Akteure unter dem Motto „Benehmt Euch!“ an einen Tisch zu bringen. Im gemeinsamen Dialog mit führenden Persönlichkeiten aus Politik, Industrie, Versorgung und Forschung sowie Anwenderkreisen diskutieren wir zu den Möglichkeiten und Chancen, die ein standardisierter Austausch von Patientendaten bietet.
Über den Deutschen Interoperabilitätstag
Der Deutsche Interoperabilitätstag findet in diesem Jahr zum vierten Mal statt. Ausrichter sind der Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V., HL7 Deutschland e. V., IHE Deutschland e. V., der Spitzenverband IT-Standards im Gesundheitswesen (SITiG) und das ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin. Geleitet vom Motto „Benehmt euch!“ sind Themenschwerpunkte unter anderem aktuelle Entwicklungen im Bereich der Standards, konkrete Praxisbeispiele sowie elektronische Aktenlösungen.
Eine Programmübersicht sowie Anmeldemöglichkeiten finden Sie unter https://www.interop-tag.de/.
Profil:
Sebastian Zilch ist seit Juni 2017 Geschäftsführer des Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V. mit Sitz in Berlin. Zuvor leitete er den Bereich Politik und Kommunikation des Verbands. Der bvitg e. V. vertritt in Deutschland die führenden IT-Anbieter im Gesundheitswesen, deren Produkte in bis zu 90 Prozent des ambulanten und stationären Sektors inklusive Reha-, Pflege- und Sozialeinrichtungen eingesetzt werden. Der bvitg ist ebenfalls Veranstalter der größten Messe und Konferenz zur digitalen Gesundheitsversorgung in Europa, der DMEA.