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Quelle: aerzteblatt.de – Die vernetzte elektronische Patientenakte (ePA) ist derzeit als wesentliche Komponente der Digitalisierung des Gesundheitswesens ein viel diskutiertes Thema. Wesentliche Fragen zur inhaltlichen, technischen und organisatorischen Ausgestaltung sind derzeit noch offen und erneute Verzögerungen in der Umsetzung absehbar. Zudem haben zuletzt mit der AOK und der Techniker Krankenkasse (TK) zwei große Player im Gesundheitswesen mit Projekten zur elektronischen Gesundheitsakte die Diskussionen befeuert und Fragen der Interoperabilität aufgeworfen.

Was aus Sicht der Ärzte für eine ePA wichtig ist, erläuterte Christiane Groß beim 2. Deutschen Interoperabilitätstag in Dortmund, ausgerichtet von den Organisationen HL7 und IHE, dem Bundesverband Gesundheit-IT und der ZTG GmbH. Die Ärztin und Psychotherapeutin ist Vorsitzende des Ärztlichen Beirates zur Begleitung des Aufbaus einer Tele­ma­tik­infra­struk­tur (TI) für das Gesundheitswesen in NRW, ein bei der Ärztekammer Nordrhein angesiedeltes ehrenamtliches Gremium, das sich seit sechs Jahren mit der Vernetzung im Gesundheitswesen befasst und auch Empfehlungen zu einzelnen Themen, etwa zum elektronischen Arztbrief und zur elektronischen Fallakte, herausgibt.

Problem der Unvollständigkeit
„Wir möchten einen schnellen Zugriff auf alle relevanten Befunde und Arztbriefe früherer Behandlungen und die Einbindung der Notfalldaten haben“, erläuterte Groß. Dabei sei es wichtig, dass die Patienten die Zugriffsrechte bestimmen könnten. Im Hinblick auf die Notfalldaten kommt es ihr zufolge jedoch auf die Vollständigkeit an. „Wenn hierbei ein Patient einen relevanten Datensatz nicht haben möchte, dann darf der Arzt diesen Not­fall­daten­satz nicht anlegen“, meinte Groß.

Die Akte solle nach Meinung des Beirates neben Befunden, Diagnosen und Therapiemaßnahmen auch die Impfungen dokumentieren, ebenso den Medikationsplan für die Verbesserung der Arznei­mittel­therapie­sicherheit. „Auch hier haben wir das Problem, wenn der Patient unter Umständen diskriminierende Medikamente verbergen kann, dann sind wir nicht sicher, ob wir die Arznei­mittel­therapie­sicherheit darauf begründen können“, meinte Groß. Behandlungsberichte und Arztbriefe sollten so strukturiert sein, dass sie elektronisch ausgetauscht werden könnten.

„Wir fordern, dass die Anwendung für die Patienten freiwillig ist“, betonte die Ärztin. Die Akte sollte außerdem nur mit zwei Schüsseln – das heißt mit der elektronischen Gesundheitskarte des Patienten und dem Heilberufsausweis des Arztes – zu öffnen sein. Zudem sollten die Patienten das Recht haben, ein Einverständnis für den Zugriff durch einen Arzt oder eine Institution auch zu widerrufen.

Grundsätzlich seien für die ePA auch die TI und einheitliche Datenformate erforderlich, ebenso die Anbindung aller Behandler und Leistungsträger. Gewünscht wird aus Sicht der Ärzte zudem eine ärztlich moderierte Akte. Das Patientenfach soll hingegen vom Patienten selbst moderiert werden. „Dort können alle Daten eingestellt werden, die der Patient für notwendig hält.“ Die Patientenautonomie und die Möglichkeit, Daten etwa bei diskriminierenden Diagnosen zu verdecken, unterstützt der Beirat ausdrücklich – „selbst wenn dann der nächste behandelnde Arzt mit dieser Lücke arbeiten muss“, erklärte Groß. Das Vorhandensein der Lücke müsse jedoch aus haftungsrechtlichen Gründen dokumentiert sein, forderte sie.

Angst vor der Datenflut
Mit dem Patientenfach ist auch eine externe Sammlung von Dokumentationen möglich. „Ich möchte als Arzt aber nicht gezwungen werden, alle diese Dokumentationen durchzulesen“, sagte Groß. Allerdings könnten nach Absprache bestimmte Daten für den Arzt wichtig sein. In diesem Zusammenhang sei Datensparsamkeit aus Sicht der Ärzte notwendig. Auch müssten ePA und Patientenfach gleich strukturiert sein.

Relevante Diagnosen müssten kenntlich und in jedes Arztinformationssystem integrierbar sein. Daten und Befunde müssten zudem schnell auffindbar sein. Dokumente müssten sich einfach durchsuchen und interpretieren lassen. Die Ärzte sollten auch von den technologieabhängigen Haftungsrisiken befreit werden, etwa durch elektronische Signaturen und Zeitstempel. „Das ist eine der Hauptforderungen und eine der Hauptängste der Ärzteschaft“, betonte Groß. Originalbefunde, deren Veränderungen sowie Fremdbefunde müssten zudem klar zu erkennen sein.

Ärzte wünschten sich letztlich auch eine intelligente Akte, beispielsweise mit semantischer Datenvernetzung, Markierung von Redundanzen und Hinweisen auf begleitende Dokumente wie zum Beispiel Leitlinien.

Kritik am neuen Zulassungsmodell der gematik
Im Hinblick auf den vergangenen Gesellschafterbeschluss der gematik zum beschleunigten Zulassungs- und Vergabeverfahren für medizinische Anwendungen der TI meldet der ärztliche Beirat starke Bedenken zu den geänderten Testmaßnahmen an: „Wenn jetzt demnächst alles frei in der Hand der Industrie bleibt, dann fragen wir Ärzte uns: Wie wird denn garantiert, dass das hinterher auch praktikabel ist?“ Von der technischen Seite sei dies weniger problematisch. Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten wollten jedoch nichts „übergestülpt“ bekommen, was sich in der Praxis als untauglich erweise.

Vor diesem Hintergrund hat der Beirat Kernforderungen erarbeitet, die in Kürze veröffentlicht werden sollen. Er fordert zur Evaluation offene und herstellerunabhängige Schnittstellen, randomisierte Testteilnehmer, statistisch relevante Teilnehmerzahlen, eine den Aufgaben angemessene Umsetzung in den Primärsystemen, eine herstellerunabhängige Modularität der Lösungsbausteine und eine Beteiligung von kurativ tätigen Ärzten bei der Erstellung der Anforderungen und der Bewertung.